Unser Spielberichtsschreiber Wolfram Wegehaupt hat sich traditionell schon Gedanken zur bevorstehenden Saison gemacht. Es geht dabei wie vor jeder Spielzeit um den Blick in die „handballerische Zweitligaglaskugel“:
„Es wird gefühlt jede Saison schwerer, die neue Spielzeit „voreinzuschätzen“. Ich tue es natürlich trotzdem, denn im Kaffeeland Sachsen macht „Kaffeesatz lesen“ besonders Spaß. 😉
Vor der letzten Spielzeit sprachen viele Beobachter von der stärksten 2. Liga, welche es bis dahin gegeben hat. Vor dieser Saison tue ich dies bewusst nicht und weise gleichzeitig darauf hin, dass die 2. Liga erneut ein Tummelplatz von vielen starken Mannschaften sein wird. Ich schließe die Binsenweisheit an: Auch in dieser Spielzeit gibt es keine leichten Spiele! Die Qualitätsdichte ist extrem hoch. Leider muss man auch davon ausgehen, dass Corona wieder Einfluss auf die Saison nehmen kann. Dieser Faktor ist weiterhin unberechenbar.
Der auch in der 2. Liga aktive ukrainische Spitzenverein HC Motor Zaporozhye (es wurde hinlänglich darüber berichtet) wird von mir nicht in die Einschätzung mit einbezogen, da dies wenig Sinn macht, denn zum Saisonende werden die Ergebnisse des Clubs dann herausgerechnet, so dass die erzielten Resultate nicht in die Wertung eingehen und somit für den Auf- und Abstieg irrelevant sind.
Die Dresdner selbst haben sich vor der Saison klar positioniert, ein Spitzenplatz in den Top-5 ist das Ziel. So eine Platzierung ist dem eingespielten Kader zuzutrauen. Allerdings muss dazu eine Steigerung zur Vorsaison her, gerade bei der defensiven Konstanz und beim Nutzen klarer Chancen. Wer mischt also aus meiner Sicht noch in der Spitze mit? Im Gegensatz zur letzten Saison, als der VfL Gummersbach der absolute Topfavorit für den Aufstieg war, scheint es vor dieser Spielzeit kein Team zu geben, welches einen ähnlichen Status innehat. Allenfalls der TuS N.-Lübbecke kommt nach meiner Sichtweise ein klein wenig in die Nähe dieser Position. Daneben gibt es ein halbes Dutzend Teams, welche man bei den Spitzenplätzen mit einrechnen könnte. Da wären zunächst einmal die, die das starke Ergebnis der letzten Saison bestätigen müssten und wollen. Allen voran wären dies der ThSV Eisenach und der VfL Eintracht Hagen. Vor allem der VfL hat personell noch einmal an Qualität zugelegt. Auch die Eisenacher haben sich noch breiter aufgestellt. Dinge im Leistungssport zu bestätigen ist fast noch schwerer, als diese erstmals zu erreichen. Denn man muss mit dem errungenen Selbstverständnis erstmal umgehen lernen, wie die Sachsen selbst aus der Vorsaison wissen. Es wird interessant sein, wie Eisenach und Hagen das bewerkstelligen. Dann gibt es die Mannschaften, die im letzten Jahr, gemessen an den eigenen Ansprüchen, aus meiner Sicht enttäuschten. Da wären die HSG Nordhorn-Lingen und um einiges abgeschwächter der TuSEM Essen zu nennen. Beide Vertretungen hatten sich, als die damaligen Erstligaabsteiger, sicher mehr vorgestellt. Vor allem die Entwicklung HSG Nordhorn-Lingen wird spannend zu beobachten sein. Beim TUSEM hat man den Kader im Wesentlichen verjüngt und zudem mit dem ehemaligen Nationalspieler Michael Hegemann einen neuen und im Cheftrainerbereich komplett unerfahrenen Trainer an der Seitenlinie. So stapelt man bewusst vor der Saison beim TuSEM etwas tief. Dies könnte eventuell zu Recht der Fall sein und so sehe ich die Mannschaft aus dem Ruhrpott in dieser Saison eher im oberen Mittelfeld als in der Spitze. Neben den bisher genannten Teams muss man natürlich Erstligaabsteiger HBW Balingen-Weilstetten sowie die SG BBM Bietigheim mit zu den Spitzenplatzanwärtern zählen. Vor allem die Ballinger werden in der eigenen Halle wohl nur schwer zu besiegen sein. Setzt die SG ihrerseits die gute Entwicklung der Rückrunde 2021/2022 fort, muss man absolut mit dem Team rechnen. Zudem muss man immer auf die eine oder andere Überraschung gefasst sein. Insgesamt könnte es ein enges Rennen an der Spitze geben. Der HC muss in seinen ersten 4 Partien im Übrigen mit Bietigheim, Nordhorn und Lübbecke gleich gegen 3 der vermeintlichen Spitzenteams ran.
Zu den Mannschaften, die ganz stabil durch die Liga kommen zählen nach meinem Dafürhalten der HSC 2000 Coburg, der VfL Lübeck Schwartau und der TV Hüttenberg. Alle 3 gehören für mich in die Top-10. Sollte der TV Hüttenberg nach dem Weggang des Liga-MVP Dominik Mappes wieder so performen wie in der letzten Saison, wäre dies schon eine kleine Überraschung und eine starke Weiterentwicklung, denn Mappes war einfach der Zweitliga-Unterschiedsspieler schlechthin. Beim HSC und beim VfL ist es wiederum so, dass sie mittelschwere Umbrüche in der Mannschaft haben und vielleicht noch etwas mehr Zeit brauchen, um sich zu finden. Dem VfL könnte der frische Wind im Kader und auf der Bank aber vielleicht sogar die Möglichkeit geben, sich vom Mittelfeld nach oben abzuheben. Beim HSC wäre der Schritt zu einer sicheren Top-10 Platzierung eine signifikante Weiterentwicklung nach der letzten Spielzeit.
Beim Kampf um den Klassenerhalt ist die Einschätzung schwierig. Es drängt sich auf den ersten Blick nicht unbedingt ein Team auf. Als erstes wäre trotzdem hier Aufsteiger HSG Konstanz zu nennen, der damit zurechtkommen muss, dass die 2. Liga nach dem Abstieg der HSG 2021, nochmal an Qualität zugelegt hat. Nun ist die Frage, hat auch die HSG an Qualität zugelegt? Ansonsten ist es schwierig, weitere Kandidaten auszumachen. Beim TV Grosswallstadt, der in der abgelaufenen Saison fast abgestiegen wäre, muss man sehen wie die Mannschaft die Abgänge vom Rückraumduo Savvas Savvas und Tom Jansen in Summe kompensieren kann. Zudem hat der TVG mit Igor Vori einen Trainer verpflichtet, der zwar ein sehr erfahrener, ehemaliger Topspieler ist, als hauptamtlicher Trainer aber wenig Erfahrung hat. So Muss man abwarten, wie schnell sich Trainer und die Mannschaft beim TVG finden. Dann wäre dann noch die Wölfe Würzburg (vorher DJK Rimpar,) die in den letzten Jahren gefühlt Stück für Stück etwas an Substanz verloren haben. Exemplarisch dafür, mit Marino Mallwitz im Tor und Yonatan Dayan auf der Rückraummitte verließen zwei wichtige Leistungsträger den Verein. Ob die teilweise Zweitliga unerfahren Neuzugänge diese Abgänge ersetzen können, muss sich zeigen.
Daneben gibt es Teams mit einigen Fragezeichen, bei denen mir die Einschätzung am schwersten fällt. Ich denke, sie lassen sich vielleicht irgendwo zwischen dem Mittelfeld und dem Kampf um den Klassenerhalt verorten. Der Aufsteiger VfL Potsdam (mehr oder minder als Anschlusskader des Erstligisten Füchse Berlin zu betrachten) ist bspw. kaum vollends einzuschätzen. Dass die Potsdamer aber mit einer gewissen Ausgangsqualität und einigem an Entwicklungspotenzial aufzuwarten haben, ist bei der seit Jahren überragenden Jugendarbeit mit Sicherheit anzunehmen. So ist für die Neulinge von Trainer Bob Hanning vielleicht sogar das Mittelfeld drin. In der Vorbereitung setzte das weitestgehend junge Team schon einmal ein paar Duftmarken. Schwierig einzuschätzen ist auch der HC Empor Rostock, bei dem nach einem Höhenflug in der ersten Saisonhälfte der letzten Spielzeit, danach ein ebenso einprägsamer Absturz folgte, was sicher auch mit der Verletzung von Schlüsselspielern zusammenhing, aber eben nicht nur. Es könnte eine knifflige 2. Saison für Empor werden. Dann wären da noch die Eulen Ludwigshafen, wahrscheinlich die größte handballerische Enttäuschung der letzten Spielzeit. Bei den Eulen ist die Frage, ob sie nun ihre Anpassungsphase an Liga 2 „erledigt haben“ und wie sie den Weggang von Rückraumspieler Hendrik Wagner verkraften. Dass die Eulen in den oberen Bereich vordringen, wäre meiner Meinung nach eine Überraschung. Es wird wohl mehr darum gehen, die negative Entwicklung der letzten Spielzeit zu stoppen. Die Mannschaft des Dessauer Roßlauer HV ist aus meinem Blickwinkel so ein Team im „Schwebezustand“ was die Einschätzung angeht. Gleiches gilt für den TSV Bayer Dormagen. Beide Mannschaften hatten sehr unterschiedliche Phasen in der Saison 2021/2022, sollten von der Qualität her bspw. ein Team wie Konstanz, Großwallstadt oder Rimpar jedoch hinter sich lassen können bzw. können beide Mannschaften vielleicht sogar das Mittelfeld angreifen. Vor allem bei der Mannschaft von Dessau Trainer Uwe Jungandreas kann man immer von viel Kampfkraft und Tempo ausgehen. Für welchen Handball Dormagen mit dem noch wenig erfahrenen „Neu-Cheftrainer“ Matthias Flohr steht, muss sich zeigen. Auf jeden Fall hat der TSV mehr Potential, als er in der vergangenen Saison gezeigt hat und auch mehr, als im Pokalspiel in Dresden zeigte. Dormagen scheint auf jeden Fall besser aufgestellt als in der letzten Saison und sollte diesmal nichts mit dem Abstieg zu tun haben.
Am Ende gilt es noch einmal zu betonen, dass mir die Einschätzung auch darum so schwer fällt, weil jedes Team der kommenden Spielzeit sich in der Vergangenheit schon einiges an Respekt erarbeitet hat. Grundsätzlich ist vielen Mannschaften eine starke Saison zuzutrauen und am Ende der Spielzeit werde ich auch hier und da wieder eines Besseren belehrt. Aber wie langweilig wäre es denn auch, wenn alles so vorhersehbar wäre! ;)“